Art & food in Marseille
Drei Tage in der ältesten Stadt Frankreichs
Multikulti, zeitgenössische Kunst, 20.000 Schritte am Tag - mein erster echter Urlaub alleine
“Ich glaube Marseille könnte dir gefallen,” sagt Diane, die Kunstkritikerin, die ich auf der “Paris Photo Fair” kennenlernte und Monate später auf ein Bier traf. Der Satz ist hängen geblieben, obwohl sie ihre Aussage gar nicht begründete. Zum Ende meines Praktikums buche ich dann kurzfristig einen Zug und ein kleines Airbnb für mich alleine.
An einem Freitagmorgen nehme ich den TGV von Gare du Lyon und bin in etwas mehr als drei Stunden da. Ich habe mir nicht viel vorgenommen, außer, dass ich mich sonnen und das Meer sehen will. Dafür habe ich aber im Gepäck einige Empfehlungen von Bekannten und lege mir nach einer kleinen Instagram Recherche später auch eine Liste mit Museen, Restaurants und Orten, die man in Marseille entdecken kann. Doch eigentlich bin ich nicht wegen der Stadt hier, sondern, um nachzuspüren und vorzudenken.
Ende März ist es viel kälter als erwartet und typisch windig. Die Straßen sind ausgestorben, vielleicht kommt mir das aber auch nur so vor, weil Paris hinter meinen Lidern brennt. Vielleicht sollte ich also im Sommer wieder kommen? Zu zweit? Ich schlendere durch die Straßen, koche mir Bolognese sobald es draußen dunkel wird und schlafe am nächsten Morgen aus.
Nach jeder Ecke Kunst
Es begeistert mich, wie wichtig Kunst und Kultur für die Französ:innen sind und besonders Marseille sprüht vor kreativer Energie und künstlerischem Potenzial. Man merkt, die Stadt ist jung und hungrig und bunt und bringt viele unterschiedliche Menschen zusammen. Das spiegelt sich natürlich in der Museumsszene wider. Ich mag es, ein Museum am Tag zu besuchen, wenn ich unterwegs bin - einerseits kommt man damit zu viel und hat einen festen Punkt auf der Tagesordnung (mein deutsches Herz schlägt höher), andererseits kann ich meistens nach einem Museum nicht noch mehr Input aufnehmen und muss das Gesehene erste einmal verdauen.
Ich stehe vor der schweren, gläsernen Tür und bekomme sie nicht auf. Deshalb checke ich nochmal die Öffnungszeiten auf Google Maps, aber da sitzt doch jemand? Sie gestikuliert, ich könne reinkommen. Ich zerre an dem silbernen Griff und schaffe es. Ich lächle schüchtern und frage, ob ich ein Ticket kaufen könne. Der Eintritt ist frei und ich beginne zu lesen. Die weißen Wände zeigen unterschiedliche Fotografien von unterschiedlichen ukrainischen Fotograf:innen. Ich sehe ein Video des letzten Foto-Festivals und eine Diashow. Ich mag die Atmosphäre, die Aufmerksamkeit, die der Raum den Fotografien schenkt.
Friche la Belle de Mai
Die große Dachterrasse streckt sich vor mir aus und die leeren Bänke erzählen von lauen Sommernächten und lauten Stimmen. Die Ausstellungen, für die ich 3€ Eintritt zahle, sind auf französisch, eine gibt mir zu viel Informationen, die andere verstört mich ein wenig. Die Fotoreportage im letzten Stock gefällt mir.
Musée des Beaux-Arts de Marseille
Ich nehme mein Handy nicht mit, als ich meine Tasche in den Spind packe. Das Museum einfach mal nicht nur durch meinen Bildschirm sehen, mich an Künstler:innen erinnern, wenn mir ihre Kunst gefällt. Die permanente Ausstellung wird von modernen Installationen (seinen Namen habe ich vergessen) durchbrochen, die in dem alten Gebäude ein schräges Bild abgeben. Die Landschaftsmalerei gefällt mir, ich erinnere mich aber nicht mehr an die Namen der Künstler.
Frac Sud - Cité de l’art contemporaine
Freier Eintritt für mich, weil heute ein besonderer Sonntag ist. Ich schlendere durch das moderne Gebäude, das irgendwie nicht so recht zwischen die anderen Häuser passt. Ich kann nichts mit den zeitgenössischen Installationen und der Konzeptkunst anfangen. Auf der Dachterrasse dagegen genieße ich kurz die Sonne, bevor ich wieder den Aufzug nehme und mich vom Rezpetionisten (sagt man das so in einem Museum?!) verabschiede.
Genussorte: Cafés, Restaurants und Bars in Marseille
Manchmal muss man leider sein Budget anpassen, weshalb ich nur einmal richtig essen gehe. Ansonsten schlürfe ich entweder Kaffee oder Rosé. Trotzdem habe ich eine lange Liste eines Freundes eines Freundes, der in Marseille wohnt und demnach mit Sicherheit heiße Insider-Tipps für uns hat. On y va:
Bistro MIMI Marseille
Das Bistro MIMI liegt nahe dem Hafen und doch etwas abseits von der üblichen Restaurantmeile auf einem kleinen Platz. Es geht kaum südfranzösischer, wie ich meine. Ich bestellte ein Cordon Bleu und bekomme, naja sagen wir es so, modern interpretierte, mit Schinken und Käse gefüllte Schnitzelröllchen. Ehrlich gesagt, haut mich das Essen, mit einem stattlichen Preis von um die 20€ für ein Gericht, nicht um, ich würde dem Bistro aber nochmal eine Chance geben. Einfach, weil man dort so schön sitzt, der Teller schön angerichtet war und es auch ein Mittagsmenü aus Hauptgericht und Dessert gibt.
Specialty Coffee in der Kaffeerösterei Deep
Der Cappuccino bei Deep ist genau, wie ich ihn mag - man schmeckt, dass guter Kaffee und perfekter Milchschaum einen schmackhaften Tango tanzen. Der Cookie, Schoko und Nuss, steht mit seinen 3,50€ nicht im Preis-Leistungsverhältnis. Leider waren die Bänke vor dem kleinen Café (wieder nahe dem Hafen) am Nachmittag im Schatten.
Tapasbar ohne Tapas: Viagghi di fonfon
Diese Tapasbar “Viagghi di fonfon” sieht auf Instagram vielversprechend aus, die Bewertungen auf Google (3,5) sind aber leider wahr. Es dauert einige Zeit bis ich zu Fuß endlich an der kleinen, zugegebenermaßen malerischen Bucht, ankomme. Sofort erkenne ich dann die Bar an der Menschenmenge, die sich um Stehtische am Rand des Hafens versammelt hat. Hungrig, wie ich war wollte ich neben meinem Rosé eben auch Tapas bestellen - “gibt es nicht,” war die Antwort, die ich von der nicht gerade herzlichen Barkeeperin verstand. Mir bleibt Zeit den Sonnenuntergang entgegen zu schmachten und weiter über das Leben nachzudenken, bevor ich mich auf den 45-minütigen Heimweg mache.
Mehr Bit(e)s in Marseille
In vier Tagen bekommt man natürlich nur einen kleinen Eindruck von Marseille - sei es jetzt von der künstlerischen oder der kulinarischen Seite. In Bezug auf Kultur stehen folgende Locations auf meiner Liste (für meine Rückkehr). Le Couvent ist “ein hybrider Kulturort” für Research und Ausstellungen, der jährlich Veranstaltungen und Workshops anbietet. Kurzum: “Hier wird produziert, hier trifft man sich, hier flaniert man.”
Weitere Restaurants und Bars sind:
Sépia: In dem Neobistro nahe Endoume und Notre Dame de la Garde, auf dem Puget-Hügel, kocht Chefkoch Paul Langlère. Er liegt Wert auf Einfachheit und Genauigkeit und bricht (deswegen Neobistro) auch mit den Codes der Bistronomie.
Restaurant Le Belge: Restaurant in der Calanque de Marseilleveyre, das normalerweise nur zwei Gerichte à la carte anbietet. Hier gibt’s anscheinend kein außergewöhnliches Essen, dafür aber eine außergewöhnliche Umgebung (checkt am besten auch die Facebook-Seite, da das kleine Restaurant nicht immer geöffnet hat).
La Cantinetta: Das italienische Restaurant überzeugt mit einer toller Terrasse im hinteren Teil des Restaurants und einer eleganten Atmosphäre. Die Küche des Chefs Pierre-Antoine Denis ist saisonal und vor allem “leidenschaftlich". Die Besitzer betreiben außerdem das gemütliche Pendant in der Rue Paradis, Otto.
Das Bistro Coquille Marseille sieht verheißungsvoll aus, genau wie das Café und Bistro Placette, die Fabriquerie mit wechselnden Tagesgerichten und das Lebensmittelgeschäft und Lunch-Restaurant L’Idéal.
Im Podcast kreativer Marseiller:innen empfiehlt Edouard Granero das Restaurant Limmat, das sich auf den Treppen des Cours Julien befindet; den Weinkeller La Source, ein Tempel des Naturweins in Le Camas und das beste chinesische Restaurant in Marseille, Shanghai Kitchen.
Zuletzt würde ich gerne noch drei Instagram-Accounts vorschlagen, die ich bei meiner Recherche auf der Plattform entdeckt habe. Die Arbeit des Fotograf:innenkollketivs Collectif Horizon finde ich großartig, besonders gut gefallen mir Cléo-Nikitas Werke. Zudem finde ich Nicolas Lopez’ Ästhetik sehr ansprechend. Letztlich spricht mich auch die Idee und der Content des “Marseille Creative” Podcasts an, der Kreativschaffende aus Marseille ins Gespräch einlädt und von Locals produziert wird. Leider ist der Podcast auf französisch, weshalb ich mich bisher eher an den Inhalten auf Instagram erfreue.